Die différance

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ist ein Neologismus derridascher Prägung. Lavagno erläutert Derridas Suche nach dem neuen Begriff wie folgt:

"(1) Es darf kein neuer Grundbegriff – kein Prinzip oder Ursprung – sein, der lediglich die Liste der bisherigen Grundbegriffe verlängert, sondern es müsste ein Begriff sein, der dem Denken aus Prinzipien und der Annahme eines Ursprungs gerade entgegenarbeitet.

(2) Der Begriff müsste das Netzwerk der Verweise, das vielfältige Spiel der Unterschiede adäquat bezeichnen. Hierfür bietet sich, so scheint es, der Terminus Differenz (frz. différence) an. Leider hat dieser Begriff jedoch seine eigene metaphysische Tradition. [...] Der Begriff der Differenz ist also nicht stark genug, um das Denken vor den metaphysischen Versuchungen zu bewahren. Immerhin bleibt festzuhalten, dass das französische Verb différer (verschieden sein, voneinander abweichen) den Gedanken der Unterschiedenheit zum Ausdruck bringt, einschließlich der für das Netzwerk bedeutsamen Komponente des räumlichen Abstandes.

(3) Der Begriff müsste auch eine zeitliche Komponente haben und das zum Ausdruck bringen, was oben die ursprüngliche Verspätung genannt wurde: der Sinn eines Zeichens stellt sich mit einer gewissen Verzögerung ein, da es erst durch alle anderen Zeichen gleichsam hindurchgegangen sein muss, bevor es vollständig abgegrenzt und konturiert ist. – Hierzu ist zu sagen, dass différer im Französischen noch eine zweite Bedeutung hat, nämlich aufschieben, verzögern. Das Verb drückt also sowohl Verschiedenheit und räumlichen Abstand als auch, in einer zweiten Schicht, zeitlichen Verzug aus. Allerdings schwingt die zweite Bedeutung in der Substantivierung différence nicht mit, ein weiteres Indiz dafür, dass der Begriff der Differenz nicht der gesuchte neue Begriff sein kann. Wollte man den Doppelsinn von différer nutzen, müsste daher eine andere Substantivierung vorgenommen werden (notgedrungen eine im Lexikon bislang nicht verzeichnete).

(4) Der Begriff sollte nach Möglichkeit die eingefahrenen metaphysischen Dichotomien unterlaufen. Nicht einmal eine scheinbar so unverdächtige Einteilung wie die von Aktiv und Passiv darf von ihm ohne weiteres vorausgesetzt werden. Denn wenn wir das Spiel der Differenzen umstandslos als eine Aktivität ansetzen, entsteht sogleich die (metaphysische) Frage nach dem Subjekt der Aktivität; nehmen wir es passiv als gegeben an, stellt sich die (ebenso metaphysische) Frage nach dem Schöpfer. Der gesuchte Begriff hätte seinen Ort daher vor der Aufspaltung in Aktiv und Passiv. Hier bietet sich nun die französische Endung -ance an, die sich genau in der Schwebe zwischen Aktiv und Passiv hält, z. B. in mouvance (Beweglichkeit) oder – mit direkter Entsprechung im Deutschen – résonance (Resonanz). Ein weiterer Vorteil: Wörter, die auf -ance enden, halten in der Regel auch die Mitte zwischen einer Disposition und einem Geschehen" (Lavagno 2010, 9).

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